Wild zusammengewürfelt: ein Konglomerat aus Sonnenseglerinnen, Tuliannen-Pimpfen und Hafenwindschwestern. Karlstein bei Prag als Startpunkt, um der Nordvariante des tschechischen Jakobwegs eine Woche bis nach Pilsen zu folgen. Eine Mondfinsternis, die sich lange an der falschen Ecke des Himmels versteckt. Strohballensofas, ein rasendes Auto auf Waldwegen. Schweißbatikmuster auf T-shirts und lange Mittagsschläfe bei unsäglicher Hitze. Baden und Stehpinkelexperimente. Und ein letzter, turbulenter Abend – ein Wald berichtet aus seiner Perspektive:
Sie kommen am frühen Abend, die Füße scheinen ihnen schwer zu sein, müde schlurfen sie bis unter die Kronen meiner äußersten Bäume. Dort lassen sie ihre Rucksäcke hart auf den Boden fallen.
Es sind 11 Menschen, alles Frauen – oder nein, eher Mädchen. Sie zeigen auf verschiedene Ecken am Boden, beratschlagen hin und her. Dann machen sich zwei von ihnen ohne Rucksäcke in Richtung Dorf davon, während der Rest der Gruppe ein träges Werkeln beginnt. Ein paar von ihnen zerren Äste aus meinem Gestrüpp und mit wachsendem Unbehagen sehe ich, wie sie Steine zu einem Kreis zusammenlegen.
Es dauert noch eine ganze Weile doch schließlich spüre ich die sengende Hitze des Feuers. Über die brennenden Äste wuchten sie einen großen Topf und kochen unter viel Gekicher. Der Rauch lässt mich schaudern und schnell versuche ich mich abzulenken.
Sie scheinen in ein verwirrendes Unterfangen verwickelt zu sein, denn in einem nicht enden wollendem Kampf spannen sie zwei grün-graue Planen über den Waldboden. Sie schnüren Stricke an Äste oder rammen mühselig spitze metallene Haken in den Untergrund. Am Ende steht ein wackliges Gebilde, ähnlich einem seltsamen, gigantischen Pilz.
Nach getaner Arbeit kommen die verschwundenen zwei zurück. In ein angeregtes Gespräch vertieft, sehe ich sie von weitem über die Felder auf mich zu schlendern. Sie lassen sich an der Feuerstelle nieder und nach einem kurzen Lied beginnen alle zu essen. Die Runde wirkt ausgelassen und nach dem anfänglichen Schreck ob ihrer Anwesenheit, beginne ich mich an der Gesellschaft zu erfreuen. Auch haben sie den Hauptteil des Feuers gelöscht, nur noch sachte spüre ich wie die Glut an meinen Wurzeln kitzelt.
Der fröhliche Haufen wird dagegen immer ausgelassener, die Nahrung scheint ihnen zu neuen Kräften verholfen zu haben. Sie malen sich mit Kohle alberne Schnurrbärte ins Gesicht, singen Lieder und dann lausche ich gerührt, wie sie von der Erfahrungen der letzten Tage schwärmen. Sie hätten sich wohl gefühlt in der Gemeinschaft der Anderen, in die Tage hineingelebt und wären Dankbar, dass sie so angenommen wurden, wie sie sind.
Plötzlich durchfährt ein Wind meine Baumkronen. Ohne dass ich, oder die Mädchen es bemerkt hätten, hat sich ein Gewitter angebahnt und wirft nun stürmisch die lose Pilzkonstruktion auf und nieder. Regen setzt ein und aus der lockeren glückseligen Runde unter mir, wird hektisches Gewusel. Schnell ziehen die Jüngeren mitsamt Rucksäcken unter den Pilz und kurz darauf springen die Älteren der Mädels bis auf die Unterhosen ausgezogen um den Pilz herum und zerren im sacht einsetzenden Regen an den Stricken. Das „Tarp“ sei nicht straff genug, zu hoch abgespannt, es würden sich „Säcke“ bilden . Erneut kann ich das Spektakel des Pilzbauens verfolgen, nur diesmal ist die Szene noch skurriler, hektischer und von einem Wechsel aus Lachen und Fluchen begleitet. Die draußen sind bald mit Stirnlampen bewaffnet, ihre Körper zeichnen sich angestrahlt hell und nackt von der Dunkelheit ab. Unter dem Pilz krabbeln die anderen hin und her. Die Jüngsten richten sich schon zum Schlafen ein, wobei eine von ihnen über Bauchschmerzen klagt und eine andere aus Angst vor dem Gewitter jammert.
Sehnsuchtsvoll schaue ich gen Himmel. Ich wünsche mir einen heftigen Regenschauer, der meinen seit Wochen ausgetrockneten Boden tränkt und die Hitze abkühlt.
Aber abgesehen von dem starken Wind, Blitzen und Donnern und ein paar anfänglichen Tropfen, scheint das Gewitter schon wieder all seine Gewalt verloren zu haben. Mit erschütternder Panik stelle ich fest, dass immer noch leichte Glut unter der Feuerstelle an meinen Wurzeln kitzelt. Oder beißen schon wieder kleine Flammen an ihnen?
Wie einen Mückenstich, den man ausversehen gekratzt hat, kann ich die Feuerstelle nicht mehr ignorieren. Nach kurzer Überlegung schicke ich eine kleine Spinne auf Mission. Galant seilt sie sich auf die Schulter eines Mädchens ab und flüstert leise in ihr Ohr. Die Menschen haben schon lange verlernt auf die Stimmen der Natur zu hören und so glaubt die Frau tatsächlich, es sei ihre eigene Idee, dem Kind mit Bauchschmerzen – bei der kaum ertragbaren Wärme der Sommernacht – einen heißen Stein als Wärmflasche in den Schlafsack zu bringen. Kaum ist sie an der Feuerstelle bleibt ihr Blick an einem orangefarbenem Punkt hängen. Sie kniet sich nieder, ihre Hände scheinen die Wärme der Glut zu fühlen, als sie sie testend darüber hält. Irritiert schiebt sie ein paar Erdbrocken zur Seite. Ihre Hände scheinen erneut die Hitze zu erspüren, denn von plötzlicher Panik erfasst, beginnt sie im Boden zu Graben. Lange Glutherde erstrecken sich unterirdisch mehrere Zentimeter außerhalb der eigentlichen Steinbegrenzung. Ihre sorgsam beherrschte Stimme klingt zum Pilz hinüber: „monchhi, kannst du bitte mal herkommen?“
Kaum hat die Zweite die Situation erfasst, beginnen sie wie verrückt gewordene Wildschweine den Boden aufzuwühlen. Ich atme auf, die Gefahr ist entdeckt wurden und es wird sich ihrer angenommen. Schon kann ich mich entspannt zurück lehnen und schmunzelnd die Show genießen.
Ohne Rücksicht auf Verluste graben die beiden nach den Glutnestern, packen Wurzeln und zerren sie mit ungeahnten Kräften aus der Gefahrenzone. Sie zittern vor Angst, sind aber von zielstrebiger Fokussiertheit ergriffen, wie sie Menschen auf Adrenalin erleben. „Ganz ruhig Skip, tief durchatmen, bekommen wir alles in den Griff“. Finger, die heiße Glut bewegen, Dreck, Ruß und Schweiß bilden eine neue Schicht und verteilen sich überall auf den nackten Körpern. Leise Stimmen wehen zu den beiden herüber – unter dem Pilz wird ein beruhigendes Gute-Nacht-Lied für die Jüngsten gesungen. Was für eine absurde Begleitmusik zu den Waldbrandbildern in ihren Köpfen!
Bald ist jedoch die Gefahr gebannt und als zwei weitere der Mädels dazu kommen, fällt der Schock langsam von ihnen ab. Mehr und mehr gewinnt die Berauschtheit des Sich-Lebendig-Fühlens die Oberhand und während sie zur Sicherheit immer weiter den Boden durchpflügen, bricht ein Lachen aus ihnen hervor. Die abertausende meiner Blätter glucksen vergnügt ob des Anblicks dieser dreckverschmierten Damen mit verwischten Schnurrbärten im Gesicht. Immer noch mit den Stirnlampen auf den Köpfen bilden sie die wohl ungewöhnlichste Szenerie, die sich hier je abgespielt hat. Die ehemalige Feuerstelle gleicht mittlerweile einem großem Vogelnest aus Erde, und wie brütende Glucken hockt sich jede der vier einmal hinein und pinkelt einen sachten Strahl auf die blasse Erinnerung von Hitze und Gefahr.
Dann liegen sie sich in den Armen, starten den schwachen Versuch eines Erinnerungsfotos und kichern ungemein bei der Vorstellung, eine außenstehede Person hätte ihr merkwürdiges Verhalten beobachtet. Wenn die wüssten…